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Kischker-Reise 2013
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Nach Serbien fliegst Du? Du meinst wohl Kroatien? So wurde im Vorlauf dieser Reise oft gefragt. Robert Lahr hatte wieder eine Kischker-Reise geplant und dazu eingeladen, aus ganz besonderem Anlass: Einweihung des wieder aufgerichteten Ahnendenkmals von 1936 und darüber hinaus Anbringung der Memorandum-Tafeln. Die hoch angesetzte Teilnehmerzahl von 50 Personen wurde weit übertroffen. Schließlich traten am Sonntag, dem 6. Oktober 63 Personen - 50 aus Kischker, die anderen aus Nachbar-gemeinden, aus den Jahrgängen 1926 - 1992 - die Reise an, eine Reise in die Geschichte, in die Erinnerung, in die ganz persönliche Biografie, eine Reise, dem Gedächtnis der Vorväter, der Ahnen geschuldet.

Über 350 Einladungen gingen an Kischkerer hinaus, verständlich die Zurückhaltung, die Vorbehalte vieler, überzeugender jedoch in unterschhiedlichster Art die Motivation der Teilnehmer. Generell war es allge-meiner Wunsch, die alte Heimat noch einmal zu sehen und die persönlichen Erinnerungen mit dem heu- tigen, noch erhaltenen Rest-Kischker abzugleichen. Bei den Jüngeren und bei den Nachgeborenen ging es darum, die Erlebnisschilderungen der Eltern bzw. der Großeltern mit der Realität zu vergleichen. Berührend die individuellen Beweggründe, die Kindheitserlebnisse im Gemeindehaus im November 1944, im Vernich-tungslager Jarek, die Suche nach dem anonymen Grab des gefallenen Vaters. Auch dies war ein Reise-grund: Das Bewusstsein als Zeuge des großen historischen Unrechts an den Donauschwaben den Neubürgern dort offen zu begegnen, um der Wahrheit willen. Es bot sich die große Möglichkeit, tief hin- abzusteigen in die Vergangenheit des verlorenen Dorfes, in die ganz persönliche Geschichtserfah- rung. Vielleicht aber war es nur die schlichte Neugier oder die Urfrage: Woher komme ich, wer bin ich? Jedenfalls trafen sich zu dieser Reise Menschen, ein jeder mit ganz persönlichem Schicksal, ein jeder bewusst oder unbebewusst angetrieben zum Akt der Selbstvergewisserung. Es konnte, es sollte eine historische Mission werden.

Am Montag fuhren wir in gespannter Erwartung von unserem Hotel in Werbas nach Süden nach Backo Dobro Polje. Es war ein sonniger Spätsommertag, wie im Oktober 1944. In der Ortsmitte galt es, sich zu orientieren. Das fiel schwer. Die Mitte - Gemeindehaus, Kirche, Pfarrhaus und Ferch-Schule - die früher Kompass war, existiert nicht mehr. Jenen unter uns, die in Kischker gelebt hatten, ist das neue Zentrum fremd. Was es wohl bedeutet, die bestimmenden Gebäude, die orientierenden Größen, die geistigen und geistlichen Zentren vernichtet zu sehen? Allein die Sonne und die nach ihr ausgerichteten Straßen bieten verlässliche Orientierung. Die Gruppe löst sich auf, jeder geht auf ein anderes persönliches Ziel zu. Es ist der Tag des Vorübergehens, des Entdeckens und des Vermissens. Diese Kontraste! Man bleibt vor gro- ßen , vormals so stolzen Bauernhäusern stehen: von den Familien Josef Frank, Christian Schmidt, Christian Roth, David Dietrich, Josef Gerber, Georg Heinz und anderen. Wir stehen vor Hoftoren, den trockenen Einfahrten, den immer noch erhaltenen Namender ehemaligenEigentümer, wie z. B. Jojohann Mell, Christian Falkenstein, Georg Roth, und wir entziffern die Initialen an Türen und Giebeln. Im Gast- haus Gagovic, dem ehemaligen Lutherheim ist immer wieder Treffpunkt mit Trinkpause. Gegenüber steht das Sanatorium. Und daneben waren doch die Gefallenen-Ehrungen? Fragen über Fragen, unsichere Antworten. Die Schulen? Die Staatsschule? Die Artesischen Brunnen. Tiefe, in einem geparkte Emo- tionen erwachen wieder. Die Vergangenheit wird Gegenwart. Es ist dies auch der Tag der ersten Kontakt-Aufnahmen mit den jetzigen Bewohnern. Freundliche Kinder kommen auf uns zu. Wenn unsere Dol- metscherin nicht da ist, versuchen wir es in Englisch oder wir zeigen einfach Bilder aus dem Buch von Johann Lorenz. Das interessiert sehr. Ein Unternehmer im Hause Jakob Roth - Metallverarbeitung - wünscht die Bilder von Alt-Kischker zu kopieren. Vielleicht zum Dank gibt er u. a. eine Ansichtspostkarte eines Reichsdeutschen Besuchers in Backo Dobro Polje vom 7.10.1935 an seine Familie in Halle/Saale.
                                             

Postkarte 1
                                               

Postkarte 2
                                                                              
Angesichts der Aktualität und dem beschriebenen historischen Kischker fragt man sich: Was ist aus diesem Dorf geworden? Aber es bleibt doch anzuerkennen, es sind alle Straßen geteert, in der Dorfmitte pflegen Gärtner Blumenbeete, im Zentrum befinden sich das Kulturhaus mit Ortsverwaltung, das Kauf- haus mit Bibliothek sowie die große neue Schule. Wir werden wahrgenommen, angesprochen, eingeladen und beschenkt. Es hat sich etwas verändert. Wir erfahren spürbar mehr Offenheit und Entgegenkommen als noch vor zwei Jahren. Man stellt sich die Grundsatzfrage: Ist Heimat verlierbar?

Außerplanmäßig werden wir am Dienstag vom Werbaser Bürgermeister Milan Stanimirovic ins Histori- sche Museum Werbas (vormals die Apotheke der Familie Schuch) eingeladen. Wir werden zunächst von der Direktorin des Museums, Frau Dragica Vukotic, freundlich empfangen und von ihr in die Geschichte und Ziele des Museums eingeführt. Heute ist es ein Haus aller Nationalitäten mit 40.000 Museums- stücken, davon allein 70 % aus deutscher Herkunft, wovon 1.000 Stücke von der Familie Peter Eisenlöffel dem Museum überlassen wurden. Wir hören, dass die Museumsleitung Kontakte nach Ulm pflegt, dass Seminare über die Deutschen des Mittelalters gehalten werden, zudem sei ein Club ehemaliger Bürger von Werbas in der Planung. Frau Vukotic drückt ihre Freude über das rekonstruierte Ahnendenkmal in BDP aus, das leider von Vandalen 1944/45 zerstört worden sei. Anschließend erscheinen der Bürgermeister von Werbas und sein Stellvertreter, Dragan Stijepovic, zur Begrüßung, obwohl sie in der Endphase des Kommunalwahlkampfes stehen. "Es ist für mich eine große Freude, Sie hier im Museum, im gemeinsamen Werbas begrüßen zu dürfen." Als ehemaliger Journalist beschäftige er sich seit 20 Jahren mit der Geschichte der Donauschwaben. Darum wisse er von deren Leidensweg. Er habe wiederholt über das Thema geschrieben, manches davon wurde in Karlsruhe ins Deutsche übersetzt. Seit der Demokrati-sierung dieses Landes gibt es Recherchen zur deutschen Vergangenheit in der Batschka. Er schließt mit dem Wunsch nach einem angenehmen Aufenthalt "in Ihrem Heimatland".
Robert Lahr dankt für die freundliche Aufnahme, vor allem für die Wiedererrichtung des Ahnendenkmals, befördert durch Bürgermeister Stanimirovic und finanziert durch die Gemeinde Werbas.
                                

Bild-Tafel-Übergabe
          Bürgermeister Stanimirovic, Frau Vukotic, Herr Lahr und
                                                                                 Stellvertr. Bürgermeister Stijepovic nach der Überreichung
                                                                                 der Memorandum-Tafel beim Empfang in Werbas

Am Mittwoch, dem 9. Oktober, auf den Tag genau, an dem der erste Treck 1944 den Ort verließ, stand die Wiedereinweihung des Ahnendenkmals von 1936 auf dem Programm. Das Thema "Wiederaufrichtung des Ahnendenkmals von 1936" mit dem noch immer gültigen Text von Landwirt Josef Frank (* 1882) zog sich über Jahre hin. Die Landsleute blieben unentschlossen, das Projekt wurde in Frage gestellt, gar abgelehnt.

Was bedeutet ein solches Denkmal? Ist mit der Heimat zugleich die Sache der Vorfahren verloren? Ein Aphorismus von G. H. Chesterton kann einem dazu die Augen öffnen. "Wir müssen unseren Vorfahren wieder Stimmrecht einräumen. Wir fordern Demokratie für die Toten." Das ist bedenkenswert. Die Toten nicht abschreiben als längst Gewesene. Heraklit hat davon gesprochen, dass die "Schlafenden auch wirken und Mitwirker sind bei dem, was in der Welt geschieht." In einer Demokratie, wie sie Chesterton vorschwebte, muss Raum sein für alle Lebenden und alle Am-Leben-Gewesenen, gleichberechtigt, Stimme neben Stimme. Die Inschrift des Ahnendenkmals wäre so als deren Stimme zu verstehen, als Mahnung und Zuspruch.
Das Projekt "Wiederaufbau" wurde von Robert Lahr betrieben. Etwas Großes entstand wieder einmal aus dem Willen und der Kraft eines Einzelnen. Wir, die wir an diesem Tag zur Stelle waren, wurden zu Zeugen dieses historischen Ereignisses. Robert Lahr hat sich verdient gemacht.

Das Denkmal wurde unter der Aufsicht des Beauftragten Ruskovski aus Kutzura wieder aufgebaut. In seinem Beisein und im Beisein von Gemeindevertretern erfolgte die Wiedereinweihung in einem Gottes-dienst, gehalten von Pfarrer Iviciak aus Novi Sad.

Ahnendenkmal 2013 mit Inschrift von 1936
 

Am Denkmal
  Sebastian Gerber rezitierte H. Hesses "Klage"
Unsere Ahnen
Glaubensstark in schwerster Not haben sie die Kraft gefunden,
haben Land und Herd und Brot, unsre Heimat uns errungen.
Zu Glauben, Treu und Einigkeit soll ihr Werk uns stets ermahmen,
auf daß wir bleiben allezeit Deutsch wie unsre Ahnen.

Prediger Pfarrer Iviciak
   Pfarrer Iviciak bei der Ansprache

Er predigte über das Wort aus 2. Tim. 1, 3-5. Darin betonte er den lebendigen Glauben der Ahnen, ein lebendiger Glaube als Beschützer und Beistand. Durch die Kultivierung des Landes wurden sie zum Segen für alle hier. Auf segensreiche Jahre folgten unglückliche Kriegsjahre mit Zerstörung und Unter- gang. Er bat um Vernunft und Weisheit für die Heutigen. Pfarrer Iviciak schloss mit den Worten "Möge der Herr uns alle segnen. Sowie auch die Botschaft des Ahnendenkmals - die Botschaft über unsere Hochachtung gegenüber den Vorfahren und die Botschaft des friedvollen Zusammenlebens und der Versöhnung. Der Versöhnung mit Gott und mit unseren Nächsten. Amen."
Das ganze Gewicht der Worte aus dem Vaterunser "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und erlöse uns von dem Bösen." war selten so schwer zu tragen wie an diesem Tag, an diesem Ort, auf dem sebischen Friedhof von BDP. Mit der Luther-Hymne "Ein feste Burg ist unser Gott" schloss die Feierstunde.

Nach dem Gottesdienst hatten wir die Neubürger zu einem Umtrunk ins Gasthaus im ehemaligen "Lutherheim" eingeladen. Leider war der Zuspruch seitens der heutigen Einwohner von BDP/Kischker nicht sehr zahlreich. Ob es am falsch gewählten Zeitpunkt gelegen hat?
Am Mittwochabend waren wir wieder mit den Neubürgern der Gemeinde im Lutherheim zu einem Begegnungsabend zum Thema "Frieden und Versöhnung" beisammen. Neben dem Bürgermeister-Stellvertreter Dragan Stijepovic hatten sich viele Vertreter örtlicher Institutionen und Bürger aus der Gemeinde eingefunden, etwa 70 Personen waren gekommen. Nach einem Abendessen, zu dem die Reisegruppe eingeladen hatte, hörten wir Grußworte. Herr Dragan Stijepovic stellte die Leistung der Donauschwaben heraus: Die fruchtbaren Felder, die Infrastruktur, die einsetzende Industrialisierung. "Die Geschichte soll in Erinnerung bleiben." In seiner Erwiderung bedankte sich Robert Lahr in unser aller Namen für die freundliche Aufnahme, für den Wiederaufbau des Denkmals auf Kosten der Gemeinde Werbas(!), sowie die Möglichkeit, drei Memoranrum-Tafeln im Ort BDP anbringen zu dürfen. Dann referierte Robert Lahr zum Thema "Frieden und Versöhnung", was anschließend zu einer positiven Diskussion zwischen ehemaligen Bürgern von Kischker und Neubürgern von BDP führte.
Rechtsanwalt R. Radovic hieß uns "in unserem und Euerem Kischker willkommen." Er skizzierte die Besiedelungsgeschichte ab 1947, die Situation der Gegenwart mit der großen Arbeitslosigkeit und sprach von der Hoffnung auf Europa.
Schließlich ergriff noch Herr G. Kakucevovic, ein Historiker, das Wort. Er interessiere sich für die Geschichte dieser Gegend und arbeite z. Zt. an dem Projekt, das seelische Profilder Donauschwaben zu erstellen. "Wo Lügen sind, gibt es keine Freunde. Wo die Wahrheit ist, ist das Gute. Wer nichts weiß, kann nicht gut sein. In einem Land verschiedener Nationalitäten muss man die Unterschiede verstehen und zulassen, aber das Recht aufdie eigenen Werte behalten."
Zuletzt kam es zum munteren Frage- und Antwortspiel nach dem Motto einer Sendereihe des BR-Fern-sehens nach dem Motto "Jetzt red i".

Am Donnerstag erfolgte im modernen Reisebus die Ausfahrt nach Jarek, dorthin, wo ab 1944 unsere Alten, Kranken und Kinder gebracht worden waren, zu dem immer noch nur Wenigen bekannten Unort dieser ihrer Endstation, dieses berüchtigte Vernichtungslager. Wir kommen in größerer Zahl als im April 2011 und wir werden - das ist für uns alle sehr überraschend - von einer großen prominenten Delegation empfangen, von Csaba Csöke, in Vertretung des Präsidenten des Parlamentes der Vojvodina und Vorsitzender des Orts-
ausschusses Temerin der Vereinigung der Vojvodina-Ungarn, von Andras Gustonj, Vorsitzender des Ge-
meinderates Temerin (mit Jarek) und Koordinator für die geplante Gedenkstätte, von Glisa Mihajlov, Vor-
sitzender des Vereins Backi Forum und Organisatorder Empfangszeremonie, und Frau Ljubica Tepic, Vorsitzende des Kulturvereins Jarek. Zusätzlich hatte sich noch eine jugendliche Trachtengruppe einge-funden.
Unweit der Häuser von Jarek, unweit des Massengrabes der 6.500 dokumentierten deutschen Opfer aus dem Vernichtungslager Jarek halten wir an einem provisorischen Hügel mit einem schlichten Holzkreuz inne. Nacheinander ergreifen die genannten Personen das Wort.

Jarek
    Andras Gustonj begrüßt unsere Reisegruppe an dem Platz, an dem das Denkmal stehen soll.

Sie nennen das Unsägliche beim Namen, sie entschuldigen sich für die Verschleppung bzw. die Behin-
derung des geplanten Denkmalaufbaues. Sie versprechen die Realisierung einer würdigen Gedenkstätte auch hier in Jarek. Sie legen sechs Blumengebinde nieder. "In stiller Trauer - die überlebenden Donau- schwaben". Wir legen unser Blumengesteck nieder, entzünden das Totenlicht und gedenken im Gebet unserer Toten.
"Zurück ins Leben" so lädt uns die Vorsitzende, Frau Tepic, in das Haus des Kulturvereins in Jarek ein, wo wir bei vorzüglichem Gebäck und Getränken in Gesprächen mit unseren Gastgebern bekannt werden.
Der Vormittag war für uns alle ein psychischer Kraftakt. Darum war das nachfolgende Programm die pure Erholung, das Erlebnis Festung Peterwardein mit Mittagessen im Burglokal und Besichtigung der ober- irdischen Teile der Festungsanlage, der Abstecher in die Altstadt von Neusatz mit ihren renovierten Bürgerhäusern, mit Bischofspalast, mit der Marienkirche, auch "die Kathedrale" genannt, mit der zur Fußgängerzone umgebauten Donaugasse, die uns den habsburgischen Ursprung auf Schritt und Tritt erkennen ließen.

Auf Peterwardein trafen wir Touristen aus Deutschland, die sich diesen Teil der Welt anschauen wollten. Nicht nur Neusatz ist eine Reise wert, lohnende Ziele in Serbien sind auch Subotica, Sombor und Apatin. Dorthin ging's für uns am Freitag, dem 11. Oktober, dem Jahrestag, an dem der zweite Treck Kischker verließ. Zunächst wurden wir vom Vize-Bürgermeister Miodrag Bakic im historischen Ratssaal empfan- gen. Begeistert stellte er uns seine Stadt Apatin vor, in der 14 Nationalitäten zu Hause sind. Er schloss seine Ausführungen mit den Worten "Kommen Sie wieder!". Reizvoll die schönen Straßenzüge, die Hauptkirche "Maria Himmelfahrt", in der von Freitag bis Sonntag nacheinander die Heilige Messe in kroatischer, ungarischer und deutscher Sprache gefeiert wird. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Gotteshaus "Die Schwarze Madonna". Der historisch Interessierte darf nicht die Herz-Jesu-Kirche verpassen. Dort hat Boris Masic eine beachtliche Sammlung wertvoller donauschwäbischer Bücher zusammengetragen, das älteste aus dem Jahr 1515. Auffallend neben der Kirche der gepflegte deutsche Friedhof. Zum Lokalkolorit passte dann das Fischpaprikasch im Hotel Kronic am Donau-Ufer, just an dem Platz, wo die Quelle und die Mündung jeweils 1.400 Kilometer entfernt sind.
Der Nachmittag brachte uns wieder in die "Spur", wir besuchten in Sombor das "Deutsche Haus St. Ger- hard" und das Monumentalbild "Die Schlacht bei Senta" im Rathaus. Junge Mitarbeiterinnen stellten uns die Ziele des Vereins vor: Erhalt und Förderung der donauschwäbischen Kultur und deren Identität. Das Leitwort "Wir verbinden" trifft die Zielsetzung. Drei verschiedene Organisationen sind unter dem Dach des Vereins tätig: Die "Humanitäre Hilfe Robert Lahr", die Donauschwäbische Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg sowie das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). Ein Schwerpunkt ist die Fort- bildung für Deutschlehrer. Ein ganz wichtiges Arbeitsfeld ist für den Verein der Dienst auf den Fried- höfen. Sie werden geordnet und gepflegt. Dass wir Besucher verwöhnt werden, ist für frühere Gäste dieses Hauses nichts Neues.

In einer humanitären Hilfsaktion der Reisegruppe überreichte in Sombor Herr Robert Lahr im Namen der Teilnehmer vor den Augen aller Anwesenden an den Vorsitzenden des Vereins "Deutsches Haus St. Gerhard", Herrn Anton Beck, eine Barspende für die Bedürftigen in Sombor und Umgebung in Höhe von 500 EURO.
In gleichem Sinne und in gleicher Weise erging in Jarek im Kulturhaus an den Vorsitzenden des Vereins Backi Forum, Herrn Glisa Mihajlov, eine Barspende für die Bedürftigen im Raum Jarek von 500 EURO.
Beim Begegnungsabend in Backo Dobro Polje übergab Herr Lahr dem Stellvetretenden Bürgermeister, Herrn Dragan Stijepovic, vor allen Anwesenden eine Barspende für die Bedürftigen in unserer Heimat-gemeinde Kischker ebenfals in Höhe von 500 EURO.

Am Spätnachmittag ging es zu den Gedenkstätten Gakowa und Kruschiwl. Weil Kruschiwl mit dem großen Reisebus über die Feldwege nicht erreichbar ist, konnten nur 12 Teilnehmer mit dem Sprinter dorthin fahren. Wir finden zwei würdige Denkmale für die unschuldigen Opfer eines infernalischen Krieges. Die in 2012 zerstörte Gedenktafel in Gakowa ist auf Kosten der Gemeinde Sombor wieder- hergestellt.
Die Inschriften in Deutsch und Serbisch sind immer noch ganz neutral, d. h. bedeckt gehalten. Klare Aus- sagen über die Verantwortung der Schreckensherrschaft sind einer späteren Zeit vorbehalten. Die Fähig- keit, mit dem Kopf des anderen zu denken, entwickelt sich nur sehr langsam.
Blumengebinde und Totenlicht bleiben von uns als sichtbare Zeichen zurück. Unser Gebet für sie alle möchte erhört sein.

Die Tonkunst kennt den Begriff des Ostinato. Das Grundthema, der Ostinato dieser Reise, waren die Opfer des anonymen Völkermords an den Donauschwaben. Die Statistiken nennen Opferzahlen, Zahlen für den Kopf, für den Rechner, die man emotionslos zur Kenntnis nimmt. Ans Herz rührt allein das Einzel- schicksal. Schmerzen werden verursacht durch Namen wie der Name Gerstheimer, die Tragödie einer ganzen Familie, Opfer in Jarek.
Am Samstag endlich mussten wir hinaus, um zu suchen, was nicht zu finden ist: Das anonyme Massen- grab, das irgendwo im Koordinatensystem Feldweg - Bahnlinie - Überlandleitung liegt. Weil der Reisebus draußen an der Bahnlinie keine Wendemöglichkeit hat, kam es, wie es kommen sollte. Wir machten uns zu Fuß auf den Weg, auf den Weg der Verurteilten, der Totgeweihten in der Novembernacht 1944. Es war ein Weg im Gedenken, es ist der Kreuzweg. Irgendwo halten wir dann inne, wir hören die Namen aller 142 Erschossenen unseres Dorfes. Im Psalm 85 finden wir die Fragen dieser Stunde und Antworten, die von Treue, Gerechtigkeit und Frieden sprechen.
                      "Seele, vergiss sie nicht. Seele, vergiss nicht die Toten." (F. Hebbel)

Die vielen Fragen vor Reisebeginn werden die Teilnehmer in der Rückschau ein jeder für sich beant-worten. Es war ein Gemenge aus Heimatkund, Geschichtsunterricht, politischer Mission, Familienfor-schung, Tourismus und positiven menschlichen Begegnungen. Es war die Konfrontation von Vorurteilen und wahrnehmbaren Korrekturen. Wie soll man zwei serbischen Studenten diese Frage "Warum hassen uns die Deutschen?" beantworten?
In diesen Tagen begegneten wir einer langsamen, entschleunigten Lebensweise. Die Menschen dort haben noch Zeit.
Über das Gesehene und Gehörte, die objektiven Wahrnehmungen hinaus sprachen wir untereinander über ganz persönliche Empfindungen und Emotionen. Friedensschlüsse mit seinen Emotionen brauchen Zeit. Zu aufgewühlt erlebten viele diese Tage.
Das ganz persönliche Fazit, die eigene Gemütslage ist am zutreffendsten mit Hilfe von Pascal Mercier zu fassen: " Im eigenen Inneren sind wir nicht auf unsere Gegenwart beschränkt, sondern weit in die Ver- gangenheit hinein ausgebreitet. Das kommt durch unsere Gefühle, namentlich die tiefen, die darüber bestimmen, wer wir sind. Denn diese Gefühle kennen keine Zeit. Darum bin ich immer noch dort. Ich lebe ausgebreitet in die Vergangenheit hinein oder aus ihr heraus. Auch im Raum erstrecken wir uns weit über das hinaus, was sichtbar ist. Wir lassen etwas zurück, wenn wir einen Ort verlassen, wir blei- ben dort, ogleich wir wegfahren. Und es gibt Dinge an uns, die wir nur dadurch wieder finden können, dass wir dorthin zurückkehren. Wir fahren an uns heran, reisen zu uns selbst." (aus "Nachtzug nach Lissabon")

Dem Initiator, Organisator und Reiseleiter Robert Lahr gilt ein großer Dank für eine ungewöhnliche, span- nende, erregende Reise.
                                                                                                          Sebastian Gerber und Erich Gerber

 
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